Donnerstag, 22. Juli 2010

Der brave Soldat Karel Schwarzenberg

Der brave Soldat Karel Schwarzenberg
22.07.2010
GASTKOMMENTAR VON PETER JOSIKA (Die Presse)
Ein Kommentar zum Interview mit Karl Schwarzenberg in der „Presse am Sonntag“ vom 17.Juli.



 
 


Tschechiens neuer und alter Außenminister, Karl von Schwarzenberg, ist offenbar endgültig vom altösterreichischen Menschenrechtler, der ein gemeinsames gleichberechtigtes Mitteleuropa anstrebte, zum braven Soldaten Schwejk des tschechischen Mainstreams mutiert. Jener Mann, der einst von einem gemeinsamen österreichisch-tschechischen Volk sprach, das sich den Luxus zweier Sprachen leistete, arbeitet heute für die bewusst trennende nationalistische und antieuropäische Politik Tschechiens. Jener Mann, der einst die Beneš-Dekrete als großes Unrecht bekämpfte, bezeichnet sie heute als unabänderlich. Jener Mann, der sich einst gegen Zwentendorf und die Atomenergie stellte, verteidigt nun die Ausbaupläne Temelins mit Tschechiens nationalen Interessen.

Es steht jedem Land frei, seine Energiegewinnungsform frei zu wählen. Allerdings sollten Atomkraftwerke nicht an solchen Standorten gebaut werden, die, im Falle eines Unfalles, ausschließlich im Nachbarland Unheil anrichten. Doch Temelin ist genau so ein Fall. Schwarzenberg hat unrecht, wenn er behauptet, es gäbe Atomkraftwerke in Bayern, die bei vorherrschenden Winden Gebiete in Österreich noch stärker gefährden. Die bayerischen Atommeiler sind nicht nur weiter von der Grenze entfernt, sondern befinden sich vor allem auch weiter vom großen Ballungsraum Wien. Die oftmalige Aussage, dass das Atomkraftwerk aus tektonischen Gründen (Erdbebenschutz) unbedingt im äußersten Süden Böhmens gebaut werden musste, ist bereits wiederholt widerlegt worden.
Die Behauptung, dass die Beneš-Dekrete nicht ex tunc abgeschafft werden können, sind ebenso falsch wie Schwarzenbergs Vergleich der Beneš-Dekrete mit dem Münchner Vertrag. Der Münchner Vertrag wurde bereits zu Kriegszeiten von den Briten ex tunc für null und nichtig erklärt. Außerdem wurde er von der Tschechoslowakei 1938 zuerst de facto anerkannt, und später durch einige Beneš-Dekrete de facto ex tunc für ungültig erklärt. Der Pariser Friedensvertrag nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der formelle Friedensvertrag zwischen Deutschland und den Alliierten, der zur deutschen Wiedervereinigung führte, hoben ebenfalls den Münchner Vertrag nochmals ex tunc auf.
Jene Beneš-Dekrete, die die kollektive Enteignung und Ausbürgerung aller deutschsprachigen Tschechoslowaken bestimmten, könnten, genauso wie die vielen kommunistischen Gesetze, die nach der Samtenen Revolution wieder abgeschafft wurden, auch jederzeit wieder dort landen wo sie hingehören – im Papierkorb unserer Geschichte. Dies könnte durch einen Beschluss der tschechischen Abgeordnetenkammern erfolgen oder durch ein Erkenntnis des tschechischen und slowakischen Verfassungsgerichts. Die Beneš-Dekrete stehen nämlich nicht nur im Widerspruch zum europäischen Gedanken und verschiedenen internationalen Übereinkünften, sondern verstoßen vehement gegen die tschechische Verfassung.
 
Künstlich am Leben erhalten
Aus politischen Gründen erfanden tschechische Juristen bisher ihre eigenen Interpretationen global geltender Menschenrechtsprinzipien, um die Dekrete künstlich am Leben zu erhalten. Die Behauptung, dass die Beneš-Dekrete durch den Vertrag von Potsdam international sanktioniert sind, ist unrichtig, da sich dieser Vertrag auf Deutsche bezieht, nicht auf deutschsprachige Tschechoslowaken, wie sie durch den Vertrag von St.Germain 1919 entstanden sind. Auch die These, dass die Wahlerfolge der ehemaligen Sudetendeutsche-Partei die Dekrete rechtfertigen, entbehrt jeder Grundlage.
Die Sudetendeutsche-Partei, die fraglos später zu einem Naziableger mutierte, wurde bei allen Wahlen von der tschechoslowakischen Wahlbehörde anerkannt und bejahte zu jener Zeit laut offiziellem Wahlprogramm die tschechoslowakische Republik und die demokratische Gesellschaftsordnung. Eine strenge Entnazifizierung und die Bestrafung von Naziverbrechern ist eine Sache. Die Ermordung, Vertreibung und Entrechtung von Millionen von Menschen aufgrund ihrer Sprache eine andere.
Schwarzenberg sollte sich als erklärter Mitteleuropäer, der sich in Österreich und Tschechien gleichermaßen zu Hause fühlt, ganz besonders um eine Lösung des Problems Temelin und eine Aufarbeitung der Dekrete kümmern. Statt regelmäßig gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran, in Kuba oder Nordkorea zu protestieren, sollte der tschechische Außenminister zuerst im eigenen Hinterhof kehren. Er sollte der tschechischen Öffentlichkeit endlich erklären, warum eine Übereinkunft mit den 2,5 Millionen vertriebenen Altösterreichern und deren Nachfahren in erster Linie im Interesse des eigenen Landes ist.
Der antieuropäische Geist, der heute in Tschechien wie in keinem anderen mitteleuropäischen Land besteht, ist nicht zuletzt ein Produkt der künstlich geschaffenen Angst vor den „Sudetendeutschen“ und einer seit Jahrzehnten verfolgten einseitigen Geschichtsschreibung. Nur eine Übereinkunft mit der historischen deutschsprachigen Bevölkerung kann Tschechien wieder in normale Bahnen führen.
Es ist erfreulich, dass junge Tschechen in Dokumentationen und Ausstellungen auf die Geschichte der Sudetendeutschen sowie Nachkriegsmassaker in Prag, Aussig, Postelberg, Brünn oder Prerau aufmerksam machen. Um einen wirklichen Umschwung zu erreichen, werden allerdings tschechische Politiker mit Charakter gebraucht. Viele Mitteleuropäer hofften, Schwarzenberg könnte ein solcher sein. Sie wurden bisher maßlos enttäuscht. Das Motto über den tschechischen Wappen, „Die Wahrheit wird siegen“, lässt weiter auf sich warten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2010)
 
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