Montag, 10. März 2014

Lasst die Krim doch einfach Krim sein

© Peter Josika

Lasst die Krim doch einfach Krim sein

Am 16 März soll die Bevölkerung der Krim über ihre politische Zukunft abstimmen. Zur Auswahl stehen zwei nationalstaatliche Modelle. Einerseits der Verbleib bei der zwar pro-europäischen aber betont nationalistischen Ukraine, die gerade den Staatsapparat zentralisierte, die regionalen Autonomien abschaffte und die Minderheitenrechte beschnitt. Andererseits der Anschluss an ein imperialistisches Russland, das unter der Führung Putins von einer Föderation zu einem de facto Zentralstaat mutierte sowie wieder damit begann seine von Menschenrechtsverletzungen, Unterwerfung und Russifizierung geprägte Geschichte zu glorifizieren.

Die Krim ist ein Schmelztiegel verschiedener Sprachgruppen, Ethnien und Konfessionen. Neben Russen, Ukrainern, Weissrussen, Armeniern, Krimdeutschen, Roma und Bulgaren leben dort vor allem auch muslimische Krimtartaren, die bis ins Neunzehnte Jahrhundert die Bevölkerungsmehrheit stellten. Kriege, Vertreibungen, Umsiedlungen, Massenenteignungen, Kollektivierungen und staatliche Assimilierung führten zuerst zu einer Russifizierung und seit 1990 zu einer teilweisen Ukrainisierung des Landes. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist die heutige Bevölkerungsstruktur von etwa 58% Russen, 24% Ukrainern, 12% Tartaren und 6% Sonstigen.

Russland begründet sein Eingreifen auf der Krim mit der Verteidigung des Selbstbestimmungsrechtes der russischen Bevölkerungsmehrheit. Der Westen pocht wiederum auf die angebliche Unantastbarkeit der territorialen Integrität der Ukraine. In Wahrheit geht es beiden Seiten nur um eines: Politischen und wirtschaftlichen Einfluss.

Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt uns, dass Russland und der Westen, entsprechend ihrer jeweiligen Interessenslage, abwechselnd mal die Selbstbestimmung und dann wieder den "Schutz territorialer Integrität" in den politischen Vordergrund stellten. Während der Westen die Unabhängigkeit des Kosovo im Sinne des Selbstbestimmungsrechtes der albanischen Bevölkerungsmehrheit anerkennt, blockiert Russland seit Jahren seinen Beitritt in die UNO und anderen internationalen Organisationen mit dem Verweis auf die territoriale Integrität Serbiens. Russland unterdrückt zudem bereits seit Jahrzehnten Unabhängigkeits-, Autonomie- und Dezentralisierungsbestrebungen im eigenen Land und beruft sich dabei auf die angebliche Gefährdung seiner territorialen Integrität.

Die Staaten Europas bezeichnen sich zwar selbst immer wieder gerne als vorbildliche Demokratien, viele von ihnen bekämpfen aber auch mit allen Mitteln Dezentralisierungs-, Selbstbestimmungs- und Autonomiebestrebungen innerhalb ihrer Hoheitsgebiete. Katalonien, Baskenland, Schottland, Wales, Nordirland, Bretagne, Elsass, Südtirol, Friaul, Dalmatien, Istrien, Vojvodina, Banat, Siebenbürgen, Szeklerland, Schlesien und Mähren seien hier als Beispiele genannt. Für alle diese Regionen gilt die Unumstösslichkeit der "territorialen Integrität" als oberstes Gebot. Der Wille der betroffenen Bevölkerung ist zweitrangig.

Nach dem Ersten Weltkrieg stand die Politik des Westens noch ganz im Zeichen der Idee der nationalen Selbstbestimmung. Die Habsburgmonarchie und andere Teile Mittelosteuropas wurden in ethnische Nationalstaaten aufgeteilt. Selbstbestimmung wurde aber nur selektiv und ohne Beteiligung der betroffenen Bevölkerung umgesetzt. So zwang man viele anders- oder gemischtsprachige Gebiete gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit in fremde Nationalstaaten. Ähnlich wie in der heutigen Ukraine setzten diese neu entstandenen oder geografisch erweiterten Nationalstaaten wiederum alles daran regionale Autonomien zu unterbinden und ihre grossen Minderheiten auszugrenzen statt zu integrieren. Das Ergebnis dieser Politik waren Konflikte zwischen und innerhalb dieser Staaten sowie der Aufstieg extremistischer Bewegungen. Hitler, Stalin, der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg waren eine direkte Folge verfehlter zentralistisch-nationalstaatlicher Politik wie sie heute in der Ukraine, in Russland sowie in grossen Teilen Europas wieder oder immer noch betrieben wird.

Für die Krim und ihre Menschen ist daher weder ein Anschluss an Russland noch der Verbleib in der heutigen zentralistisch-nationalistischen Ukraine ein annehmbarer Weg. Beide Optionen untergraben die regionale Autonomie, bedeuten weniger Demokratie und Selbstverwaltung und führen zu einer Ausgrenzung grosser Teile der Bevölkerung. Stattdessen sollten die USA, EU und Russland von ihren historischen Fehlern lernen und es der Krim ermöglichen ihren eigenen integrativen Weg zu beschreiten. Nur eine möglichst unabhängige föderalistisch und damit basisdemokratisch strukturierte Krim, frei von nationalistischer und zentralistischer Bevormundung, kann alle Volks- und Religionsgruppen gleichberechtigt in die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen einbinden. Nur so kann zudem eine gemeinsame Identität aufgebaut werden, die den Bewohnern unabhängig von ihrer Muttersprache und Religion eine langfristige gemeinsame Perspektive gibt. Die Lösung für die Krim heisst Krim, nicht Russland oder Ukraine.

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